Vor Gericht

Späte Strafe 23 Jahre nach dem Mord

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Im Prozess um den Mord an Ursula Scheiwe vor über 20 Jahren in Soest-Ostönnen hat das Gericht den Angeklagten Jörg B. gestern wegen Mordes zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt.

Am Ende ist es die Spur an der gelben Wolldecke, die für das Gericht keinen Zweifel an der Täterschaft von Jörg B. lässt - jenes DNA-Muster, das unter 23 Millionen Menschen einer bestimmten Person zugeordnet werden kann. Gestern wurde der inzwischen 41-Jährige wegen Mordes zu sechseinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt, weil er 1987 die damals 26-jährige Ursula Scheiwe in ihrer Wohnung getötet haben soll.

Wie besonders dieser Prozess ist, macht Richter Willi Erdmann schon beim Verlesen des Urteils deutlich. Von einem „außergewöhnlichen Fall in der Geschichte des Arnsberger Landgerichts“ ist die Rede. Seit dem August letzten Jahres hat der Prozess die Kammer beschäftigt, mehr als 50 Zeugen und etliche Gutachter wurden gehört. Richter Erdmann bezeichnet es als „beruhigendes Gefühl für die Kammer“, dass die Wissenschaft es möglich macht, Taten auch viele Jahre später noch aufzuklären.

Die DNA-Spuren - an der gelben Wolldecke, die im Schlafzimmer in der Nähe der Leiche lag, unter den Fingernägeln und an der Jogginghose des Opfers - die Anfang 2009 zu einer Verhaftung von Jörg B. geführt hatten, blieben die entscheidenden Indizien, die zu seiner Verurteilung führten. Er selbst hatte stets zu den Tatvorwürfen geschwiegen.

„Die Spuren sind vom Angeklagten gelegt worden“, davon gab sich Richter Erdmann überzeugt. Und da dieser weder vor noch nach der Tat jemals in der Wohnung von Ursula Scheiwe gewesen sei, könnte dies nur in der Tatnacht passiert sein.

In jener Mainacht 1987 in Soest-Ostönnen feierte der Ort den Aufstieg seiner Fußballmannschaft. Ursula Scheiwe brachte einen Salat mit zur Feier, zapfte Bier, unterhielt sich mit Freunden und Be­kannten. Als sie gegen halb vier in der Nacht die Party verließ, blieb ihr Verlobter zurück, um mit Freunden in der Festhalle zu übernachten.

In ihrer nahe gelegenen Wohnung machte sich Ursula Scheiwe fertig zum Schlafengehen. Kurz darauf, davon ist das Gericht überzeugt, schellte Jörg B. an ihrer Tür. Ursula Scheiwe öffnete, vielleicht, weil sie dachte, es sei ihr Verlobter, vielleicht, weil sie den Angeklagten aus dem Ort kannte. In der Wohnung, so das Gericht, habe der Angeklagte versucht, das Opfer zu vergewaltigen. Als Ursula Scheiwe sich wehrte, würgte er sie. Mindestens einen „spitzen“ Schrei aber konnte sie ausstoßen, den hatte ein Zeuge aus der Nachbarschaft damals gehört, dann war sie wahrscheinlich bewusstlos.

Um die Entdeckung seiner Tat zu vertuschen, habe Jörg B. anschließend mit einem Messer auf sein Opfer eingestochen, 74 Stich- und Schnittverletzungen fügte er ihr zu.

„Ihm war wohl klar geworden, dass sein guter Ruf im Ort hin wäre, wenn sein Vergewaltigungsversuch bekannt würde“, so Richter Erdmann in seiner Urteilsbegründung. Um sich selbst zu schützen, habe Jörg B. den Tod von Ursula Scheiwe in Kauf genommen.

Als weitere Indizien für eine Verurteilung wertete das Gericht die Aussage eines Zeugen, der berichtete, Jörg B. habe sich ungefähr zur Tatzeit für einige Zeit von der Feier entfernt. Auch sein auffälliges Verhalten, das Nachbarn am Tag nach der Tat beobachtet hatten, spreche für seine Täterschaft, so der Richter. Jörg B. soll damals mehrmals am Tatort vorbeigelaufen sein, obwohl dieser gar nicht auf seinem Weg lag.

Weil Jörg B. zum Tatzeitpunkt 18 Jahre alt war und ein Gutachter ihm eine Reifeverzögerung für die damalige Zeit attestierte, wurde das Jugendstrafrecht angewandt. Strafmindernd wirkte sich aus, dass Jörg B. zum Tatzeitpunkt erheblich alkoholisiert war und sich wahrscheinlich in einem außergewöhnlichen Erregungszustand befand. Strafmildernd wertete das Gericht auch, dass Jörg B. nicht vorbestraft ist und bereits 13 Monate in Untersuchungshaft gesessen hat.

Sein Verteidiger Frank Klement zeigte sich nach der Urteilsverkündung „enttäuscht“ über den Ausgang des Verfahrens und kündigte bereits an, in Revision zu gehen. Er habe seinen Mandanten stets als einen Mann erlebt, „der mit der schwierigen Situation umgehen kann“ und er hoffe, dass dies auch so bleibe.

Die Brüder des Opfers, Eberhard und Willi Scheiwe, die im Prozess als Nebenkläger aufgetreten waren, zeigten Erleichterung, dass es endlich eine Verurteilung nach dem Mord an ihrer Schwester gibt. Dennoch ist der Trost nur begrenzt, wie Willi Scheiwe es formuliert: „Es fehlt einfach ein Mensch in der Familie.“

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