Duisburg/Bochum. Politik und Wirtschaft befürchten, dass Bürgereinsprüche den Wasserstoff-Ausbau verzögern. IG- Metall-Chef sieht Nachholbedarf beim Erklären.
Zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft herrscht seltene Einigkeit: Wasserstoff wird Gas und Öl als Energiequelle der Industrie ablösen. Die Frage ist nur – wann? Beim dreitägigen „Hy-Summit Rhein-Ruhr“ in Hamm, Duisburg und Bochum waren deshalb zwei Begriffe besonders häufig zu hören: Tempo und „die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen“.
Glaubt man einschlägigen Berechnungen, werden Unternehmen im Ruhrgebiet schon in einigen Jahren fast die Hälfte des deutschen Wasserstoffbedarfs benötigen, um ihre Klimaziele zu erreichen. Diese aberwitzigen Mengen CO2-neutral zu produzieren und in die Region zu schaffen, gilt als Herkulesaufgabe. Um die Aufgabe zu stemmen, sieht Josef Hovenjürgen, Parlamentarischer Staatssekretär im NRW-Bauministerium, nur eine Lösung: „Es kann nur Aufbruch geben, wenn wir uns uns unterhaken und die Probleme auf der Strecke aus dem Weg räumen.“
Mit seinem Appell rennt der CDU-Politiker offene Türen bei den Kongressteilnehmern ein, insbesondere aber auch bei den Organisatoren des Hy-Summit, den Wirtschaftsförderungen der Städte Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen und Hamm. „Die Wasserstoff-Transformation ist keine Sache von einzelnen Konzernen und Städten. Man braucht sich gegenseitig. Deshalb haben wir uns verzahnt“, sagt Rasmus Beck, Geschäftsführer von Duisburg Business & Innovation. Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch ist überzeugt, dass es gelingen kann. „Eine Aufgabe dieser Größe können wir im Ruhrgebiet gemeinsam erfolgreich stemmen, wenn jede Kommune ihre Stärken einbringt. Wissenschaftliche Expertise für diesen Wandel im Energiesektor kommt aus Bochum“, meint der SPD-Politiker.
Sieben Standorte für Elektrolyseure im Ruhrgebiet
Bei der Umsetzung sieht es gar nicht so schlecht aus: 14 Projekte im Revier beschäftigen sich bereits mit der Produktion, der Anwendungsforschung und dem Transport von Wasserstoff. Michael Hübner, Geschäftsführer des Vereins Hy-Region Rhein-Ruhr, listet sieben Standorte für Elektrolyseure in Duisburg (2), Oberhausen, Hamm, Marl, Gelsenkirchen und Essen auf. Die Anlagen sollen Wasser in Wasser- und Sauerstoff aufspalten und Unternehmen sowie die wachsenden Flotten von Bussen und Müllfahrzeugen mit Wasserstoffantrieben versorgen. „Wir haben inzwischen auch die Städte Herne und Mülheim als Mitgliede aufgenommen“, sagt er zufrieden.
Überdies sind eine Reihe neuer Trassen für Pipelines in der Planung, die Wasserstoff aus dem Ausland ins Ruhrgebiet transportieren sollen. Beim Kongress wird allerdings die Sorge laut, Einsprüche von Anwohnerinnen und Anwohnern könnten die Vorbereitungen verzögern. Bei einer Podiumsdiskussion in der Duisburger Mercatorhalle sind sich deshalb alle einig, dass Pläne für Leitungen, Elektrolyseure und neue Umspannwerke frühzeitig und transparent mit der Bürgerschaft diskutiert werden sollen.
RVR: „Wir fragen alle Betroffenen“
„Wir fragen alle Betroffenen und gucken, ob die Trasse unbedingt an einem Schrebergarten vorbei laufen muss“, sichert Karola Geiß-Netthöfel zu. Der Regionalverband Ruhr (RVR), dessen Direktorin sie ist, prüft die Raumverträglichkeit neuer unterirdischer Leitungen und hat für jeden Antrag sechs Monate Bearbeitungszeit. Dieses zeitliche Limit gibt es für die Bezirksregierungen, die die anschließenden Planfeststellungsverfahren zu bewerkstelligen haben, allerdings nicht. „Wir wollen schneller werden. Bürgerbeteiligung kostet aber auch Zeit“, sagt NRW-Staatssekretär Hovenjürgen, der seinerseits den Ball nach Berlin spielt. „Wir erwarten, dass der Bund die gesetzlichen Ansprüche etwa beim Artenschutz herunterschraubt.“
Um Einsrüche von Anwohnern zu vermeiden, empfiehlt Alexander Stubinitzky vom Beratungsbüro Drees & Sommer, „die Leute mitzunehmen“. Das sei am ehesten zu erreichen, wenn man ihnen vermittele, dass die Transformation zum Wasserstoff auf allen Ebenen „händelbar“ sei und von ihm keine Gefahren ausgingen. „Man sollte den Menschen sagen, dass Wasserstoff selbst bei der Butterherstellung eingesetzt wird“, meint Stubinitzky.
IG-Metall-Chef Giesler: „Wir erklären nicht genug“
Einer, dessen Wort Gewicht hat, sieht bei der Akzeptanz der Wasserstoff-Wende aber noch Nachholbedarf. „Wir erklären nicht genug“, kritisiert Knut Giesler, NRW-Chef der einflussreichen IG Metall. „Den Horrorszenarien, dass bei der Erzeugung von grünem Stahl viele Arbeitsplätze wegfallen, müssen wir etwas entgegen setzen“, fordert der Gewerkschafter und betont: „Ich sehe auch Chancen bei der Transformation.“
Giesler erinnert an die Großdemonstration im Sommer in Duisburg. Dabei hätten sich 12.000 Beschäftigte von Thyssenkrupp Steel grüne T-Shirts übergestreift und dokumentiert, dass sie hinter der tiefgreifenden Umstellung der Stahlproduktion stehen. Der Metaller mahnt, dass es beim Stahl nicht so gehen dürfe wie nach der Schließung des letzten Bergwerks 2018 in Bottrop. „Die meisten Maschinenbauer für den Bergbau gab es in NRW“, so Giesler. „Jetzt sind sie weg, weil es hier keinen Bergbau mehr gibt.“
Das dürfe sich beim Stahl nicht wiederholen, da ist sich der Metaller mit Bernhard Osburg, dem Chef von Thyssenkrupp Steel einig. „Ohne Stahl dreht sich kein Windrad, lässt sich Strom nicht transportieren und lassen sich Elektroautos weder laden noch fahren“, betont Osburg. „Stahl ist Möglichmacher der Energie- und Klimawende.“
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