Essen. Im Kabinett ist heute der Armutsbericht der Bundesregierung Thema. Dass es so lange dauerte, bis er endlich diskutiert werden kann, ist ein Zeichen für eine „schwere Geburt“, wie es der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Butterwegge im NRZ-Gespräch ausdrückt.
Im Kabinett ist heute der Armutsbericht der Bundesregierung Thema. Dass es so lange dauerte, bis er endlich diskutiert werden kann, ist ein Zeichen für eine „schwere Geburt“, wie es der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Butterwegge im NRZ-Gespräch ausdrückt.
NRZ: Warum hat es sich Ihrer Meinung nach so lange hingezogen, bis der Bericht absegnungsreif ist?
Butterwegge: Es war in erster Linie wohl ein Zwist zwischen Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) auf der einen und Teilen der Union auf der anderen Seite. Schon vor Jahren hat der Bundestag per Beschluss verlangt, dass dieser Bericht in der Mitte einer Legislaturperiode fertig ist. Davon kann im Fall der amtierenden Großen Koalition nun wirklich keine Rede sein. Dies war eine schwere Missachtung des Parlaments und der Öffentlichkeit, die immer wieder hingehalten worden ist.
Woran haperte es im Detail?
Bereits vor der endgültigen Ressortabstimmung mit den übrigen Bundesministerien wurden zentrale Aussagen im Ursprungsentwurf abgeändert, abgeschwächt oder ganz gestrichen. Die Initiative dafür ging vom Bundeskanzleramt und vom Finanzministerium aus, die beide CDU-geführt sind. Beispielsweise stießen die Überlegungen zum Verhältnis von Armut bzw. Reichtum und Demokratie auf politische Bedenken. Das Unterkapitel „Einfluss von Interessensvertretungen und Lobbyarbeit“ wurde ganz gestrichen. Selbst eine so banale Erkenntnis wie die, dass zumindest sehr Reiche politisch einflussreicher als Arme sind, sorgte für Konfliktstoff zwischen den Regierungsparteien.
Klingt nicht, als ob Sie mit der aktuellen Form einverstanden sind ...
Nein, denn die engen Zusammenhänge zwischen der wirtschaftlichen Stellung von Bürgern und ihren Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Politik müssten offengelegt werden. Stattdessen wurde sogar der Fachbegriff „Krise der politischen Repräsentation“ aus dem Ursprungsentwurf gestrichen. Er bezieht sich auf die extrem niedrige Wahlbeteiligung von sozial Benachteiligten und warnt vor einer Zementierung der bestehenden Verteilungsschieflage.
Was bedeutet das für die sozialpolitische Funktion des Armutsberichts?
Er büßt seine aufklärerische Rolle weitgehend ein. Dass die sich vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich nicht bloß den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht, sondern auch eine Gefahr für die Demokratie bildet, will ein maßgeblicher Teil der Regierungskoalition gar nicht hören.
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