Wirtschaft

Wittgensteiner Wirtschaft: Reicht „Made in Germany“ noch?

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Ein Blick über Berleburg: Dort sind - wie auch in Bad Laasphe und Erndtebrück - viele Unternehmen zu Hause.

Ein Blick über Berleburg: Dort sind - wie auch in Bad Laasphe und Erndtebrück - viele Unternehmen zu Hause.

Foto: Hans Blossey / www.blossey.eu / FUNKE Foto Service

Wittgenstein  Laut einer IHK-Umfrage klagen Firmen im Kreis über Auftragsrückgänge im In- und Ausland. Doch es gibt auch Positives zu berichten.

Droht Deutschland eine Deindustrialisierung? Davor warnte jedenfalls die Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen in einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung. „Der Auftragseingang lahmt derzeit in weiten Teilen der heimischen Industrie. Das Neugeschäft schrumpft sowohl im Inland als auch im Ausland. Die Investitionsneigung ist deutlich rückläufig. Und schlimmer noch: Fast jedes fünfte Unternehmen denkt konkret über Standort- oder Teilverlagerungen nach“, kommentierte IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener die Ergebnisse der IHK-Umfrage, an der sich 210 Industriebetriebe mit mehr als 28.000 Beschäftigten aus den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe beteiligten. Von dem aus der Politik wiederholt prognostizierten Aufschwung sei die heimische Industrie meilenweit entfernt, heißt es. Die Redaktion wollte es genauer wissen und fragte bei einigen Firmen im Altkreis nach: Beobachten auch sie eine ähnliche Entwicklung?

Laut IHK-Umfrage gaben 58 Prozent der Betriebe in Siegen-Wittgenstein und Olpe fallende Inlandsaufträge an – mehr als die Hälfte der Befragten melden auch rückläufige Auslandsaufträge. Doch noch sei nichts verloren, wie Jan Osterrath, Geschäftsführer der gleichnamigen Firma in Saßmannshausen auf Nachfrage der Redaktion verrät. „Der Economist titelte jüngst wieder, Deutschland sei der kranke Mann Europas. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.“ Der Standort Deutschland sei „der Schlechteste unter allen OECD Mitgliedern“ (der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). „Mir ist kein Industrieunternehmen bekannt, das sich unter diesen Bedingungen nicht über Verlagerung Gedanken machen muss“, so Osterrath. Seit über einem Jahr befinde sich Deutschland in der Rezession, „während alle anderen Industrieländer zum Teil deutlich wachsen“. Kritisch sei laut Osterrath, „dass erstmals alle Branchen betroffen sind, was einen Unterschied zu früheren Krisen macht. Noch ist der industrielle Kern des Landes jedoch nicht verloren, doch es verlangt schnelles, beherztes Handeln dies zu verhindern.“

Die aktuelle Situation der Ejot-Gruppe lasse sich mit „Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung und das Besinnen auf eigene Stärken“ beschreiben, so Pressesprecher Andreas Wolf. Tatsächlich liege der Auftragseingang insbesondere in Deutschland hinter der ursprünglichen Jahresplanung zurück. „Die Unsicherheit ist den weltweiten Krisen geschuldet, aber auch den schwierigen nationalen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft: Deutschland wird immer teurer. Entgegen allen Ankündigungen aus der Politik, haben die Unternehmen auch weiterhin einen erheblichen Zuwachs an Bürokratie zu bewältigen. Die gestiegenen Kosten kann man immer schlechter in Schrauben, unserem Kerngeschäft, unterbringen. Dafür ist die Gewinnspanne zu gering. Wir müssen also in Deutschland immer effizienter werden.“

Die Unsicherheit ist den weltweiten Krisen geschuldet, aber auch den schwierigen nationalen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft: Deutschland wird immer teurer.
Andreas Wolf, Pressesprecher der Ejot-Gruppe

Derzeit sei das Unternehmen dabei, seine Aktivitäten auf den amerikanischen und asiatischen Märkten auszubreiten, „weil dort die anspruchsvollen Kunden in den Bereichen Digitalisierung oder E-Mobilität sitzen.“ Ausgebaut werde zudem das Vertriebsnetz auf dem afrikanischen Kontinent. „Dies tun wir, ohne die europäischen und deutschen Märkte zu vernachlässigen. Wir verdienen im Ausland etwas leichter Geld, das wir nutzen, um die deutschen Standorte damit zu stützen.“

Trotz widriger Rahmenbedingungen habe das Unternehmen erhebliche Investitionen getätigt: „An den Standorten in der Türkei, Finnland und Kroatien wurden in diesem Jahr neue Werke in Betrieb genommen. Das gilt auch für die Region Wittgenstein, wo in Bad Laasphe das neue TEC Center eingeweiht wurde.“ Die Investitionssumme liegt laut Wolf bei neun Millionen Euro - und auch am Produktionsstandort Bienhecke in Bad Laasphe investiert das Unternehmen in den kommenden Jahren rund elf Millionen Euro in die Sanierung und Neuausrichtung des Standortes. Davon werden rund fünf Millionen Euro auf die Baukosten entfallen. „Hinzu kommen erhebliche Investitionen im Bereich des Klimaschutzes“, so Wolf, der betont: „Trotz vieler Krisenherde in der Welt und schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist die Ejot-Gruppe stabil und hat in den zurückliegenden Jahren Resilienz bewiesen.“

EEW beobachtet leichte Belebung der Markt- und Projektsituation

Bei der EEW Group in Erndtebrück freut man sich indes - anders als in der IHK-Pressemitteilung prognostiziert - über eine leichte Belebung der Markt- und Projektsituation. „Dies entspricht auch unserer Erfahrung, dass sich die Energiebranche antizyklisch zur Gesamtkonjunktur verhält. Wir sehen zudem Anzeichen dafür, dass sich diese leichte Erholung in den kommenden Monaten fortsetzen wird“, so Christoph Schorge, Geschäftsführer der EEW Group. Nach Zeiten mit erschwerten Marktbedingungen durch Corona und dem Ukraine-Krieg bewertet das Unternehmen diese Entwicklung allerdings noch verhalten. Aber: „Als global agierendes Familienunternehmen sind wir fest in der Region verwurzelt und halten an unserem Stammsitz in Erndtebrück fest.“ Eine Standortverlagerung sei nicht geplant.

Und auch Jan Saßmannshausen, Chief Marketing Officer bei Bikar Metalle berichtet Positives. „Wir spüren glücklicherweise keinen Auftragsrückgang. Durch unser breites Angebotsportfolio sind wir nicht an spezifische Branchen gebunden und können schwankende Auftragseingänge einzelner Branchen durch vermehrte Verkäufe in andere Wirtschaftszweige ausgleichen“, schreibt er. Unterstützend wirke sich hierbei auch das zusätzliche Standbein der Luftfahrt aus. „Hier konnten wir zuletzt große Aufträge abschließen und so unsere Maschinen gut auslasten.“ Standortverlagerungen seien kein Thema. Die beiden neuen Standorte in England (seit Mai 2023) und Indien (ab 2024) seien keine Verlagerungen weg aus Deutschland, sondern „werden ausschließlich für Neugeschäfte in den entsprechenden Regionen eröffnet. So stärken wir auch unsere Arbeitsplätze in der Zentrale in Bad Berleburg und in unserem IT-Büro in Siegen. Hier sind unsere Wurzeln und hier sind wir auch in Zukunft zu Hause.“

Wir spüren glücklicherweise keinen Auftragsrückgang. Durch unser breites Angebotsportfolio sind wir nicht an spezifische Branchen gebunden und können schwankende Auftragseingänge einzelner Branchen durch vermehrte Verkäufe in andere Wirtschaftszweige ausgleichen.
Jan Saßmannshausen, Chief Marketing Officer bei Bikar Metalle

In Wittgenstein zu Hause ist auch die Firma Regupol, auch wenn die Kunden aus „mehr als 130 Ländern“ kommen. „Wir sind breit aufgestellt mit den Produktbereichen Sport, Akustik, Ladungssicherung sowie Bau und können dadurch Risiken besser auffangen. Das gelingt uns derzeit sehr gut. Wir haben uns, soweit das möglich ist, krisensicher aufgestellt und haben ein motiviertes Team“, so Geschäftsführer Niels Pöppel. „Natürlich merken wir auch eine angespannte Lage zum Beispiel im gesamten Bereich Bau in Deutschland. Uns geht es da genauso wie allen anderen Bauzulieferern auch. Die Zinslage, die immer noch hohen Energiepreise und gestiegene Rohstoffkosten treiben die Baukosten in die Höhe und das fördert wiederum die Zurückhaltung von Investoren und Bauherren. Daran werden wir auch wenig ändern können“, so Pöppel, der dennoch positiv gestimmt ist. „Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass Regupol mit innovativen Ideen auch auf negative Trends reagieren kann.“

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