Washington. Die Polizei schlägt Alarm: In dieser US-Metropole geht die Mordquote durch die Decke. Drastische Maßnahmen sollen die Gewalt eindämmen.
75.000 Dollar Belohnung für sachdienliche Hinweise lobt die Polizei in Washington DC nun wirklich nicht alle Tage aus. Aber Pamela Smith hat keine Wahl. Die erst seit Juli kommissarisch amtierende Polizeichefin des für den Hauptstadt-Bezirk zuständigen Departments steht massiv unter Druck. Denn die Mordquote in der amerikanischen Hauptstadt geht durch die Decke. Mit über 165 Tötungsdelikten (knapp 30 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum) hat DC bereits Anfang August, als in einer Woche 16 Menschen starben, die Jahresmarke von 2018 gerissen. Bis Ende Dezember droht eine Opferzahl jenseits der 250. Und damit der höchste Stand seit 20 Jahren.
Hohe Mordquote: Washington verhängt Ausgangssperre
Und das, während die Zahl fataler Gewalttaten in Metropolen wie New York, Baltimore oder Philadelphia im Schnitt um zehn Prozent zurückgeht. Nur in Memphis, San Francisco und eben Washington DC herrscht der gegenläufige Trend. Ein Grund: Trotz schärfster Waffengesetze gelangen Tausende Pistolen und Gewehre in die Hauptstadt. Pamela Smith ist eine tiefgläubige Baptistin und die erste Afro-Amerikanerin in einer traditionell schwarzen Stadt und in einem der schwierigsten Jobs überhaupt.
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Bei der jüngsten Presse-Konferenz zum Schicksal dreier schwarzer Männer, die kürzlich im Amüsier-Viertel Adams Morgan erschossen aufgefunden worden waren, bettelte die oberste Sicherheitsbeamtin geradezu um Hilfe aus der Bevölkerung: „Irgendwer weiß, was hier passiert ist. Bitte helfen bei der Aufklärung.”
Zum Vergleich: Als die Crack-Epidemie in den 80er- und 90er-Jahren in Washington wütete, starben regelmäßig über 500 Menschen im Jahr durch Schusswaffengewalt. Washington wurde die „Mord-Hauptstadt” genannt. 2012 wurde mit 88 „homicides” der bisher niedrigste Stand festgehalten. Neue Maßnahmen sollen nun greifen. In Stadtvierteln mit hoher Kriminalitätsrate werden zusätzlich 50 Überwachungskameras installiert. Ab 1. September gilt zudem in acht beliebten Kiezen – darunter Chinatown, Navy Yard und die Parteimeile U-Street – eine nächtliche Ausgangssperre für alle unter 17 Jahren. Teenager, die nach 23 Uhr oder am Wochenende nach Mitternacht draußen angetroffen werden, landen in Haft.
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US-Polizei kämpft mit Nachwuchsproblem
So soll ein Unruheherd eingedämmt werden, sagt Smith. Aber sie kämpft mit Vorbehalten. Alle ihre Vorgänger hatten 20, 30 Jahre Erfahrung auf dem Buckel. Die neue Chefin kommt von der für die National-Parks zuständigen Polizei. Sie fremdelt noch mit Großstadt-Verbrechen. Bei einer internen Strafpredigt rief sie ihre Commander dazu auf, mehr „Blue” (Beamte) auf die Straße zu schicken und sich nicht hinter Papierkram zu verschanzen. Das kam nicht gut an.
Trayon White, ein schwarzer Ratsherr aus dem Stadtteil mit den meisten Mordfällen im Südosten, hält die Polizeibehörde für überfordert. „Es ist vielleicht Zeit, die Nationalgarde zu rufen, um Kinder und unschuldige Leute zu schützen”, sagt White. Sein Argument in Zahlen: Derzeit hat die Polizei in Washington 3380 Officer und 120 Kadetten auf der Straße, 450 weniger als drei Jahre zuvor. Der frühere Polizeichef Robert J. Contee sagte voraus, dass die Zahl der einsatzfähigen Cops bis Herbst 2024 auf 3100 fallen werde – obwohl jungen Rekruten eine Anreizprämie von jeweils 25 000 Dollar winkt.
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Laut Polizei-Gewerkschaften wollen immer weniger Menschen nicht nur in Washington eine Uniform samt Waffe tragen. Weil schlechte Bezahlung, notorische Kriminalität, eine scharfe Beobachtung durch die Bevölkerung und Rassismusvorwürfe den Beruf „unattraktiver und noch gefährlicher” gemacht hätten. Bürgermeister Bowser, eine schwarze Demokratin, steht unter Zugzwang. In den Nachbarschaften, die zuletzt von Polizeisirenen geplagt wurden, regt sich lauter Protest. Weil es nicht mehr nur der sozial schwache, von Drogen und Kriminalität geprägte Südosten der Hauptstadt ist, in dem banale Auseinandersetzungen in tödliche Gewalt ausarten. Sondern auch Gebiete im vergleichsweise solventen und lange Jahre ruhigen Nordwesten.
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