Region. Darf einem Koch, der vom Speiseplan abweicht, gekündigt werden? Wie das Landesarbeitsgericht Hamm entscheiden hat und weitere kuriose Fälle.
Nicht immer geht es vor Gericht um Mord und Totschlag. Arbeitgeber streiten sich mit Arbeitnehmern um Kündigungen, Kunden klagen wegen Lappalien gegen Unternehmen. Vor allem Arbeitsgerichte und Sozialgerichte in der Region beschäftigen sich mit kuriosen Fällen. Eine Auswahl.
Beim Austreten den Arm gebrochen
Ein Mann aus Gelsenkirchen stritt 1998 vor Gericht darüber, ob ein Armbruch beim Austreten ein Arbeitsunfall sei. Auf dem Weg von seiner Arbeit nach Hause musste der Mann dringend auf die Toilette. Er hielt sein Auto an, um sich in Büschen zu erleichtern. Dort rutschte er auf dem nassen Boden aus und brach sich seinen rechten Arm. Der Mann wollte sich daraufhin von seiner Unfallversicherung entschädigen lassen. Sie weigerte sich jedoch zu zahlen, weil nur der Weg zum Ort des Urinierens versichert sei. Das Pinkeln selbst jedoch nicht.
Das Sozialgericht Gelsenkirchen entschied im Juni 1999: Der Armbruch war ein Arbeitsunfall, die Versicherung musste zahlen. Das Gericht stellte fest, dass der Unfall auf dem Weg zur Erleichterung passierte und nicht währenddessen: "Die Gefahr des Ausrutschens besteht während einer Fortbewegung in weit größerem Maße als bei einer stehenden Tätigkeit. Die Verrichtung der Notdurft erfolgt erfahrungsgemäß nicht während der Fortbewegung." Daher habe der Kläger unter Versicherungsschutz gestanden. Grundsätzlich sei das Urinieren aber dem "persönlichen und unversicherten Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen" und daher nicht versicherungspflichtig.
Küchenexperimente im Seniorenheim
Der Koch eines Seniorenheims klagte 2005 vor dem Landesarbeitsgericht Hamm gegen seine Kündigung. Grund dafür waren Hackfleischbällchen: Auf dem Speiseplan des Altenheims stand, dass sie gebraten angeboten werden sollten. Der Koch jedoch hatte sie gedünstet, weil dabei ein Sud entstand, woraus er nach eigenen Angaben eine Soße machen wollte. Die Bewohner hätten beim Essen sehr viel Wert auf Soße gelegt, so der Koch. Ein Skandal, befand die Leitung des Altenheims, und setzte den Mann vor die Tür. Er wurde von seinem Arbeitgeber in der Vergangenheit bereits mehrfach abgemahnt, weil er unter anderem in einer Woche ganze dreimal vom Speiseplan abwich: Wirsing statt Erbsen, Kartoffelsalat mit Ei statt mit Speck und rote statt braune Soße zur Haxe - das Seniorenheim duldete keine Improvisation.
Vor dem Arbeitsgericht Minden hatte der gekündigte Koch bereits erfolgreich klagen können. Die Kündigung und die Abmahnungen waren ungerechtfertigt, weil nicht nachgewiesen werden konnte, dass der Koch schlecht gearbeitet hätte. Dagegen legte das Seniorenheim am Landesarbeitsgericht Hamm Berufung ein. Die Richter in Hamm bestätigten das Urteil und zwangen das Seniorenheim dazu, den Koch wieder einzustellen.
"Inwieweit durch das Nichtbraten, sondern Dünsten der Hackfleischbällchen der Heimvertrag mit den Bewohnern beeinträchtigt sein könnte, oder diese Art der Zubereitung den von der Beklagten [dem Seniorenheim] gestellten Erwartungen und Anforderungen nicht entspricht, ist dem Vorbringen der Beklagten nicht zu entnehmen und erhellt sich der Kammer auch ansonsten nicht.", so die Richter in Hamm in ihrer Urteilsbegründung.
Entschädigung für schwitzenden Fluggast
Ebenfalls 2005 klagte in Düsseldorf ein Fluggast gegen eine Fluggesellschaft auf Entschädigung. Die Airline verwies den Gast kurz vor Start des Flugs aus dem Flieger, weil er nach Schweiß roch. Die Airline verteidigte ihr Vorgehen damit, dass der Geruch des Mannes den anderen Passagieren nicht zuzumuten gewesen sei. Der Mann musste einen Ersatzflug buchen. Vor Gericht klagte er das Geld ein, das er dafür zusätzlich zahlen musste inklusive Verdienstausfall durch einen zusätzlichen Tag Urlaub.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf gab dem Passagier zum größten Teil recht. Wenn der Geruch des Mannes wirklich so penetrant gewesen sei, hätte er bereits beim Einchecken von einem Mitarbeiter der Airline darauf hingewiesen werden müssen, so das Gericht in der Begründung. Dann nämlich hätte der Mann vor der Gepäckaufgabe noch ein frisches Hemd anziehen können. Somit habe die Airline "dem Kläger diese Möglichkeit, doch noch am Flug teilnehmen zu können, leichtfertig genommen." Er bekam Schadenersatz für den Ersatzflug zugesprochen, den Verdienstausfall musste er selber begleichen.
Bei der Arbeit eingeschlafen und vom Sitz gefallen
Sie sei übermüdet bei der Arbeit von ihrem Sitz gefallen und habe sich dabei am Kopf verletzt. Mit dieser Begründung verklagte eine Gastwirtin vor dem Sozialgericht Dortmund ihre Unfallversicherung auf Entschädigung. Sie machte jedoch unterschiedliche Angaben zum Unfall. Erst sei sie übermüdet vom Sitz gefallen und mit dem Kopf an die Fußstütze gestoßen. Später gab sie an, ihr sei schwindelig geworden. Daraufhin sei sie gefallen. Die Unfallversicherung lehnte die Zahlung ab. Es habe keinen Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Arbeit gegeben.
Vor Gericht schilderte die Frau den Unfallhergang so: Zwischen 10 und 10.30 Uhr habe sie ihre Arbeit begonnen, indem sie die Arbeit der Putzfrau übernahm, die an diesem Tag nicht zur Arbeit erschien. Ab 13 Uhr sei die Gaststätte geöffnet gewesen. Während ruhigen Phasen des Tages habe sie Pausen eingelegt. Gegen 0.30 Uhr sei der letzte Gast gegangen. Anschließend habe sie mit der Abrechnung begonnen, über der sie wohl eingeschlafen sei. Das habe sie festgestellt, als sie anschließend auf dem Boden wieder aufgewacht sei. Die Arbeitszeit sei normal gewesen, auch hätte sie den Tag über nicht mehr zu tun gehabt als üblich. Warum sie an jenem Abend im September 1996 so müde gewesen sei, könne sie sich nicht erklären.
Das Sozialgericht Dortmund wies die Klage der Frau ab. Für ausreichendes Essen, Trinken und Schlafen, sei jeder selbst verantwortlich. Es gebe aber Ausnahmen, in denen die Versicherung zahlen muss, wie das Gericht feststellte. Allerdings nur, "wenn der Verletzte infolge außerordentlicher Anstrengung übermüdet auf der Arbeitsstätte eingeschlafen ist oder wenn der Schlaf auf andere betriebliche Gründe zurückzuführen ist." Die Richter sahen keinen Beweis dafür, dass die Gastwirtin aufgrund ihrer Arbeit eingeschlafen ist und sich verletzte. Vor Gericht habe sich die Frau nicht genau daran erinnern können, was genau passiert sei, so die Richter.
Sex im Einzelbett ist zumutbar
Die wohl ungewöhnlichste Urteilsbegründung lieferte das Amtsgericht Mönchengladbach 1991. Ein Mann verklagte seinen Reiseveranstalter auf Schadensersatz, weil er und seine Partnerin statt eines Doppelbetts zwei nicht miteinander verbundene Einzelbetten im Zimmer vorfanden. Für den Mann nicht hinnehmbar - er fühlte sich nicht nur in seinen Schlafgewohnheiten gestört, sondern auch in seinem Sexleben. "Ein friedliches und harmonisches Einschlaf- und Beischlaferlebnis sei während der gesamten 14-tägigen Urlaubszeit nicht zustande gekommen, weil die Einzelbetten, die zudem noch auf rutschigen Fliesen gestanden hätten, bei jeder kleinsten Bewegung mittig auseinandergegangen seien", so die Anklage. Der Mann verlangte vor Gericht Schadensersatz, weil er seinen Urlaub nicht habe genießen können.
Das Amtsgericht wies die Klage ab, denn: "Dem Gericht sind mehrere allgemein bekannte und übliche Variationen der Ausführung des Beischlafs bekannt, die auf einem einzelnen Bett ausgeübt werden können, und zwar durchaus zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Es ist also ganz und gar nicht so, dass der Kläger seinen Urlaub ganz ohne das von ihm besonders angestrebte Intimleben hatte verbringen müssen." Außerdem hätte der Mann das Problem leicht selbst lösen können, wenn er die beiden Betten zum Beispiel zusammengebunden hätte: "Bis zur Beschaffung dieser Schnur hätte sich der Kläger beispielsweise seines Hosengürtels bedienen können, denn dieser wurde in seiner ursprünglichen Funktion in dem Augenblick sicher nicht benötigt." Die Klage auf 20 Prozent Rückerstattung des Reisepreises war somit erfolglos.
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